Harbach historisch – Geschichte(n) rund um das Dorf

Harbach historisch – Geschichte(n) rund um das Dorf

heute: „Der Schneiderhannes“

Mit dieser kleinen Reihe möchte ich Euch einladen, in unregelmäßigen Abständen gewissermaßen in der Mottenkiste unseres Dorfes zu stöbern und auf eine spannende und bisweilen auch humoristische Entdeckungsjagd zu gehen.

Was mag näher liegen, als mit der neuen digitalen DorfApp einen Blick in die Geschichte und Geschichten unseres Dorfes zu werfen? Wir können so die Vergangenheit und die Gegenwart miteinander verknüpfen, um das wertzuschätzen, was wir heute an unserem Dorf, unseren Mitmenschen, unserer erhaltenswerten Kultur, unseren Traditionen und vielfältigem ehrenamtlichen Engagement vorfinden. Harbach mag eben mehr sein, als lediglich ein Ort, in dem wir leben.

Beginnen möchte ich in dieser Reihe mit dem „Schneiderhannes“, den im Dorf heute niemand mehr persönlich kannte, da er bereits 1902 im Alter von 82 Jahren verstarb.

Ich selbst habe meine Erkenntnisse zu ihm aus handschriftlichen Notizen, die der ehemalige Lehrer Karl Söhngen (1902-1978) nach Gesprächen mit dessen Enkel Ludwig Braun sen. (1891-1970) in den 1930er Jahren machte und die ich durch historische Quellen aus dem Stadtarchiv Grünberg ergänzte.

Mit bürgerlichem Namen hieß der im Dorf aufgrund seines Berufes nur „Schneiderhannes“ genannte Mann Johannes Loth und lebte in „Loths-Haus“, welches schon seit Jahrzehnten abgerissen ist und sich neben dem Haus von Gerd Fellenberg in Richtung „Kreuz“ befand.

Seine Körpergröße von nur 1,60 Meter wog der „kleine, hitzige Kerl“, wie Karl Söhngen notierte, durch seine Agilität, Geschäftigkeit und einen großen Humor auf.

Von 1843 bis 1845 versah der „Schneiderhannes“ seinen Militärdienst beim 1. Großherzoglich-Hessischen Infanterie-Regiment „Leibgarde“ in Darmstadt und diente dort in der Schützenkompanie unter Hauptmann Dingeldey.

Da in dieser Zeit die Main-Weser-Bahn zwischen Kassel und Frankfurt noch nicht existierte (sie war erst 1852 durchgehend befahrbar), legte der „Schneiderhannes“ den Weg (Luftlinie: ca. 80 Kilometer) im strammen Schritt zu Fuß zurück. Der Überlieferung seines Enkel nach, übernachtete er dabei stets einmal kostenfrei auf einem Bauernhof.

Sein späterer Arbeitsalltag in Harbach gestaltete sich wie folgt: Morgens in aller Frühe bestellte Johannes Loth seine Äcker und beendete diese Tätigkeit um 10 Uhr. Anstatt zu seiner Frau nach Hause zu  gehen, frühstückte der eigenwillige Schneidermeister zunächst in einem Wirtshaus in Harbach und gönnte sich hierbei gerne ein Kännchen Kaffee. Seinen Enkel Ludwig Braun sen. (1891-1970) habe er oft mitgenommen und dem Bub einen „Wasserweck“ gekauft. Ein derartiger Leckerbissen war für die Kinder der damaligen Zeit schon etwas Besonderes.

Erst danach sei er in sein kleines Fachwerkhäuschen im Oberdorf gegangen, um in der Stube nach alter Schneidersitte mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen, dem „Pfühl“, direkt auf dem Tisch am Fenster seiner Arbeit nachzugehen. Wir mögen uns heute sehr gut vorstellen, dass der lebensfrohe Mann dabei das Treiben im Oberdorf im Blick und stets zu einem Schwatz am geöffneten Fenster aufgelegt war. Zudem sang der Schneidermeister gerne und laut. Sobald sein aus Hattenrod stammender Schwiegersohn, der Maurer Johannes Braun, in der Nähe gewesen sei, habe der stolze Schneider sogleich lautstarke Spottlieder über das Maurerhandwerk angestimmt! Ja, der Johannes Loth war wohl ein besonderer Kauz!

Zeit seines Lebens sei der „Schneiderhannes“ weit über unser Dorf hinaus bekannt und als Original beliebt gewesen.

Ludwig Stauß, so berichtet Lehrer Söhngen abschließend, habe in späterer Zeit noch ein Bügeleisen des alten „Schneiderhannes“ besessen. Wer weiß, vielleicht ist es noch irgendwo in einer Harbacher Mottenkiste versteckt?

Bis zum nächsten Mal, Euer

Sven Schepp