Harbach historisch – Geschichte(n) rund um das Dorf

heute: Was uns „Riweckersch-Haus“ erzählt
Liebe Leser, die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings erfreuen nach dem langen Winter unser Herz und wir nutzen die Gelegenheit, einmal durchs Dorf zu spazieren. Was mag näher liegen, als seine Häuser mit etwas Muße und Gelassenheit neu zu entdecken und Ihren individuellen Geschichten zu lauschen? – „Moment! Häuser sind zweckmäßige Wohnbauten, was mögen die schon erzählen?!“ mag Mancher im ersten Moment vielleicht denken. – Wetten, dass sie doch etwas über sich selbst und Ihre einstigen Bewohner zu berichten vermögen?
Halten wir einmal am „Riweckersch-Haus“, dem schönen und markanten roten Backsteinbau an der Hattenröderstraße Ecke Ettingshäuserstraße an. Als das Anwesen errichtet wurde, hieß letztgenannte Straße übrigens noch „Mühlenstraße“, da sie im weiteren Verlauf zur Kolbenmühle führte.
Nicht ohne stolz haben die Bewohner dem Robert, dem ältesten Mitglied der Familie, vor einiger Zeit ein Schild mit der Aufschrift „Riweckers-Haus – erbaut 1937“ geschenkt und am Haus unweit der Hausnummer angebracht. Mit dieser geschmackvollen Idee erfahren wir als Betrachter sogleich das Baujahr des Hauses und den alteingesessenen Dorfnamen der Besitzer, über dessen Herkunft Lehrer Karl Söhngen in den 1930er Jahren die Vermutung äußerte, er könne in Zusammenhang mit einer möglichen ehemaligen Bäuerin namens „Rebecca“ stammen. Ein Beweis für diese These blieb uns der Lehrer leider schuldig. Ein solcher weiblicher Vornamen ist mir in Bezug auf Harbach in den Kirchenbüchern des Kirchspieles Wirberg bislang nicht begegnet.
Die Idee, den Dorfnamen des Hauses anzubringen und damit zu erhalten ist indes durchaus nachahmenswert.
Lenken wir unseren Blick auf die markanten roten Backsteine, die den eigentlichen Charakter des Anwesens ausmachen. Es ist kaum vorstellbar und doch eine Tatsache, dass diese nur wenige Hundert Meter vom Ort ihrer Entstehung bis hin zum Verbau zurückgelegt haben. „Unser Haus wurde aus Feldbrandsteinen gebaut, die wir selbst hergestellt haben“, hat mir Robert einmal erzählt.
Die Familie besaß in den 1930er Jahren eine Wiese am Ortsausgang Harbachs in Richtung Grünberg, in etwa dort, wo die Firma Burkhardt heute ihr Baustofflager und ihren Firmensitz hat. Etwas weiter in östlicher Richtung befand sich unmittelbar an der heutigen Streuobstwiese des Vereins für Obstbau und Kleintierzucht (VOK) die „Lehmekaute“.
Ganz offensichtlich reichten die lehmigen Ausläufer bis zur genannten Wiese der Familie Münch, denn die Lehmerde auf deren Wiese soll vor Ort für die Herstellung der Backsteine genutzt worden sein. Aufgrund der Vielzahl der für ein Haus nötigen Backsteine denke ich aber, dass zudem auch der Lehm aus der angrenzenden Lehmkaute zur Herstellung der Backsteine genommen wurde, auf die Wiese geschafft und dort verarbeitet wurde.
Das Lehmfeld dürfte damals wie üblich bereits im Herbst des Vorjahres vorbereitet worden sein. Der zur Herstellung notwendige Lehm wurde in althergebrachter Weise gestochen und über Winter in Streifen ausgelegt. Frost und Kälte ließen den Lehm verwittern, wodurch die Bindigkeit der Tonminerale reduziert wurde. Durch dieses sogenannte „Mauken“ ließ sich der Lehm in der folgenden Saison leichter verarbeiten.
Nach der Frostperiode wurde in der Regel eine quadratische oder rechteckige Grube ausgehoben. In dieser sogenannten Sumpfgrube wurde der Lehm mit Wasser geschlämmt und von den Zieglern zu einer breiigen, homogenen Masse verarbeitet. Zu fettigen Lehmen wurde dabei Sand zur Magerung beigemengt.
Ein heute unbekannter Handwerker aus Burkhardsfelden soll, so „Riwecker-Robert“ in seiner Erzählung, diesen sogenannten Feldbrand in der frostfreien Zeit federführend durchgeführt haben. Hierbei wurden aus der Lehmerde „Ziegel gestrichen“, also mittels einer Holzform Lehmquader hergestellt, die sich grob am sogenannten „Reichsformat“ (25x12x6cm) orientierten. Diese feuchten Quader wurden dann in langen Reihen auf der Wiese je nach Witterung für mehrere Wochen zum Trocknen ausgelegt. Danach wurde am gleichen Ort ein mit Kohle befüllter Meiler aus den luftgetrockneten Steinen errichtet, was die eigentliche Handwerkskunst des Feldbrandes ausmachte. Über Tage hinweg wurden die Steine durch die Glut der Kohle gebrannt. Je nach Position des jeweiligen Backsteins innerhalb des Meilers war dieser naturgemäß während des Brennvorganges idealen, zu hohen oder zu geringen Temperaturen ausgesetzt, was sich im Ergebnis in der Farbe und Qualität widerspiegelte. Die generelle rote Färbung ist auf den natürlichen Eisengehalt der Ton- oder Lehmerde zurückzuführen.
Waren Steine, z.B. an äußeren Rändern des Meilers nur geringen Temperaturen ausgesetzt, so waren sie wenig haltbar und hatten eine hellrote Farbe. In manchen Regionen Deutschlands wurden diese minderwertigen Steine „Sonnenbäcker“ oder „Bleiche“ genannt. Diese fanden allenfalls für Innenwände oder als Ziegelbruch für Schüttungen Verwendung.
Sehr heiß gebrannte Ziegelsteine bekamen eine bläuliche Färbung. Ihnen konnte weder ein Bohrer noch ein Schneidewerkzeug etwas anhaben. Sie wurden in manchen deutschen Regionen „Onkels“ genannt.
Ziegel von schöner roter Farber und bester Qualität wurden bisweilen „Klunker“ oder schlicht „Rote“ genannt.
Die große Zeit der Feldbrände war 1937 eigentlich schon Jahre vorüber, denn industriell hergestellte Klinker waren bereits seit Jahren lieferbar. Doch auf dem Lande gingen manche Entwicklungen langsamer vor sich und der Kauf industrieller Steine war letztlich auch eine Kostenfrage.
Schauen wir uns heute die Fassade des „Riweckersch-Haus“ genauer an, so kann man in der Tat verschiedene schöne Färbungen der Backsteine entdecken (siehe Foto oben). Keiner ist wie der andere. Mancher ist tief blau, fast schwarz und mag daher von unerhörter Härte sein. Andere tragen individuelle Einschlüsse in Form von kleinen Steinchen.
Während der Sockel aus natürlichem Bruchstein (Basalt) besteht, wurde die Sockelkrone und die Einfassung der Türen aus den berühmten und in unserer Region weitverbreiteten unververüstlichen hell-cremefarbenen Klinkern der „Gailschen Dampfziegelei und Tonwarenfarbrik“ in Gießen gemauert. Letztgenannte wurden ab 1890 jahrzehntelang industriell im großen Stil gefertigt und sind aufgrund ihrer herausragenden Qualität bis heute unübertroffen. Da im Laufe der Jahre auch viele Harbacher bei „Gail“ in Gießen in Lohn und Brot standen, haben auch sie ihren anerkennenswerten Teil der für unsere Region so prägenden Klinker- und Ziegelproduktion beigetragen.
Mit diesem Wissen über die Herkunft und Herstellung mag uns nun die Fassade des „Riweckersch-Haus“ viel interessanter und detailreicher erscheinen. Wie langweilig mag da ein neuzeitlich aufgetragener Putz, am besten noch mit einer womöglich fragwürdigen Wärmedämmung erscheinen, der diese Geschichte für immer verbergen würde?
Zu berichten ist ferner, dass die Zimmererarbeiten für das Anwessen von einem Zimmermann aus Lindenstruth durchgeführt und die Türen von dem einst in der Grohlgasse ansässigen Schreinermeister und Weltkriegsveteran Ludwig Erb (1876-1961) gebaut worden seien.
Die Bauherren Karl Münch II. und seine Frau Lina (geb. Stiehler) mögen mit ihren beiden Kindern zurecht stolz auf das große und neue Haus gewesen sein. Verglichen zu den überwiegend kleinen und niedrigen Fachwerkhäuschen des Dorfes war ein solches Anwesen im damaligen Harbach sehr modern und zeugte zugleich von lokalem handwerklichen Können.
Wie tragisch war es da, dass Karl Münch II. nur wenige Jahre nach der Errichtung seines Hauses, am 3. September 1944 südöstlich von Rozan (Polen) fallen sollte. Auch das ist Teil der Geschichte, die uns das „Riweckersch-Haus“ zu erzählen vermag.
Bis zum nächsten Mal,
Euer
Sven Schepp
Wer sich für die aufwendige Durchführung eines Feldbrandes interessiert, dem sei dieses bemerkenswerte historische Video empfohlen:
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