Harbach historisch – Geschichte(n) rund um das Dorf

heute: Heinrich Buchner und sein „Feierabendziegel“
Liebe Leser, beim heutigen Wühlen in unserer Harbacher Mottenkiste stoßen wir auf einen scheinbar profanen Gegenstand: einen Dachziegel. Dass es sich bei diesem speziellen Dachziegel, einem sogenannten „Feierabendziegel“, allerdings um etwas besonderes handelte, dachte sich vor vielen Jahren sicher auch Heinrich Buchner. Doch der Reihe nach:
Unter einem „Feierabendziegel“ versteht man datierte, beschriftete oder mit Symbolen und Zeichen versehene historische Dachziegel aus Ton. Der irreführende Begriff „Feierabendziegel“ wurde von der heutigen Fachliteratur aus dem Volksmund übernommen. Er wäre aber besser durch den Begriff „gestaltete Dachziegel“ zu ersetzen, da das Wort realitätsfern und romantisierend suggeriert, dass der Ziegelmacher (Ziegler oder Hafner genannt) am Ende seines Arbeitstages Muße und künstlerische Kreativität gehabt hätte, einen letzten Ziegel zu verzieren und zu gestalten.
Tatsächlich war bei den Zieglern vor dem Zeitalter der maschinellen Fertigung von Ziegeln (diese setzte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ein) eine Tagesarbeit von 12-16 Stunde, in denen er etwa 400-600 per Hand fertigte, keine Seltenheit. Die Arbeitsbedingungen in den meist kleinen Betrieben waren sehr hart und brachten auch damals nur einen geringen Lohn ein. Oft waren ganze Familien in die Fertigung der Ziegel eingebunden, wobei Frauen und Kinder als Hilfsarbeiter das Gros der billigen Arbeitskräfte ausmachte.
Die körperlich harte Arbeit mit dem feuchten Werkstoff Lehm, oft an einem zugigen Arbeitsplatz im Freien, sorgte für typische Erkrankungen, z.B. Rheumatismus. In der Regel dauerte ein Arbeitsjahr eines Zieglers witterungsbedingt vom 19. März (Josefstag) bis zum 16. Oktober (Gallustag).
Der feuchte Ton, den der Ziegler im Laufe des Fertigungsprozesses mit der Hand bearbeitete, war zu allen Zeiten ein ideales Material um darauf etwas abzubilden oder hinein zu kratzen. Manchem Ziegler mag es während seiner langen monotonen Arbeit in den Sinn gekommen sein, hin und wieder einen Ziegel derart zu verzieren, auch wenn er wusste, dass niemand seine Symbolik oder Schriftzeichen mehr lesen konnte, wenn der Ziegel einmal auf einem Dach lag. Vielfach wurden die Ziegel erst viele Jahrzehnte später beim Um- oder Abdecken von Häusern und Scheunen entdeckt und ob ihrer Besonderheit im Vergleich zur Masse der anderen Ziegel aufbewahrt.
Auf nassen und ungebrannten Ziegeln konnten sich aber auch der Brenner, der Ziegeleihelfer, Knechte und selbst spielende oder in den Arbeitsprozess einbezogene Kinder verewigen. So ist die Form- und Gestaltungssprache der erhaltenen Fundstücke oft schlicht und naiv. Insofern entstanden gestaltete Ziegel eben nicht am Feierabend, sondern vielmehr ab und zu einmal zwischendurch, aus einer Laune oder besonderer Gelegenheit heraus.
Die Ziegel wurden hergestellt, indem der Ziegler den gereinigten nassen Lehm in einen auf einem Holztisch befindlichen Holzrahmen warf und ihn mit seinen Handballen in die Form eindrückte und verschiedenen Arbeitstechniken unterzog. Hierbei wurde z.B. eine Nase geform, die Rücksteite mit Sand angerauht und die Vorderseite in bestimmten Streichtechniken, dem sog. Kopfstrich und dem Abstrich, glatt gestrichen und mit dem Wasserstrich um eine eine kleine Rinne nach unten ergänzt. Der anschließend vorsichtig aus der Form gehobene Ziegel kam in ein Trockengestell. Hier trocknete dieser zwischen einem und drei Monate, bevor er dann bei ca. 800-1000 °C im Ofen über mehrere Tage gebrannt wurde.
Der deutschlandweit älteste Feierabendziegel, also optisch verzierte Dachziegel, befindet sich im Museum Bad Herrenalb (Baden-Württemberg) und stammt aus dem Jahre 1452. Die Mehrzahl der heute noch existierenden Ziegel sind allerdings dem 17. und 18. Jahrhundert zuzuordnen.
In den 1930er Jahren wurde ein solch besonderer Ziegel auch in Harbach aufbewahrt. Der Landwirt Heinrich Buchner (1881-1975), der damals „im Grohl“ an der Stelle lebte, wo heute das Haus von Familie Maul steht, zeigte einen solchen Ziegel Lehrer Karl Söhngen (1902-1978), der ihn „jahrhundertealt“ einschätzte, ohne ihn altersmäßig näher eingrenzen zu können. Letzterer notierte sich das Aussehen auf einen in seinem Nachlass befindlichen Zettel, so dass wir heute von der Existenz des Ziegels überhaupt noch etwas wissen. Ein Bild oder eine Zeichnung Söhngens ist leider nicht überliefert. Auch ist unklar, woher Heinrich Buchner den Ziegel überhaupt hatte.
Der Ziegel selbst ging, vielleicht auch durch den Umzug von Heinrich Buchner in sein neues Haus in der Forsthausstraße (später „Schombersch Haus“ genannt), vermutlich verloren. Im Familienkreis ist heute jedenfalls nichts mehr von seiner Existenz bekannt.
Welche Gestaltungen finden sich auf im heute beispielsweise im Museum Bad Herrenalb oder dem Stadtmuseum Wangen/Allgäu aufbewahrten Feierabendziegeln?
Die einstigen Dachbedeckungen warten oft mit Jahreszahlen, Ortsangaben, Initialen der Ziegler oder Bauherren auf. Sie waren Notizen, Abrechnungen oder auch mit Sinnsprüchen, z.B. als Lobpreisung des Handwerks, zum Thema Liebe und Fruchtbarkeit, religiösen Texten, Spott und Humor versehen.
Großen Raum nahmen auf den erhaltenen Ziegeln Sprüche und Motive möglichen Aberglaubens, z.B. Schutz- und Abwehrzeichen, ein. Eingeritzte Pentagramme, Abdrücke von Schlüsseln oder Händen z.B. könnten mit aller Vorsicht aus dem althergebrachten Volksglauben heraus als verankerte Versuche zu werten sein, das später mit dem Ziegel gedeckte Haus vor Dämonen, Blitzen, Feuer oder auch Dieben zu bewahren. Mit solchen Deutungen hält sich die aktuelle Literatur im Gegensatz zu früheren Interpretationen, insb. in Quellen der 1930er Jahre, zurück.
In einzelnen Fällen wurde auch der Bauherr, z.B. mit Dreispitz, Pfeife und Rock dargestellt. Solche Ziegel werden auch als „Heischziegel“ bezeichnet, weil man damit ein Trinkgeld zu „erheischen“ suchte.
Naive Darstellungen von Personen, Pflanzen oder Tieren sind auf Feierabendziegeln ebenfalls weit verbreitet.
Blumen und insbesondere Bäume sind bei floralen Darstellungen weit vertreten. Einfach gezeichnete Bäume mögen als Lebensbäume und damit als Sinnbild des Lebens und dessen Verlauf über die Geburt, die Heirat und den Tod gedeutet werden. Dabei ist aus heutiger Betrachtung allerdings unklar, inwiefern der einzelne Ziegler den Baum nun spontan aus reiner Gestaltungsfreude oder aber in bewusstem Darstellungswillen eines tieferen Sinnes auf den Ziegel einbrachte.
Gemäß den Notizen Söhngens war der Feierabendziegel von Heinrich Buchner 27 x 15,5 cm groß und in der Form eines heutigen „Bieberschwanzes“ gestaltet.
Zentrales Motiv in der Mitte des Ziegels sei ein stilisiertes Bäumchen gewesen, welches seinerzeit in einem trapezförmigen Kasten stand.
An den vier Ecken des Ziegels soll sich jeweils ein Sonnensymbol in der Größe eines Viertelkreises befunden haben. Ein ebensolches Symbol sei, so Söhngens Beschreibung, in der Größe eines Halbkreises beidseitig der Längsachse eingeritzt gewesen.
Unter dem Baum hätten sich ferner die Buchstaben „LKKB“ befunden. Eine Jahreszahl sei nicht vermerkt gewesen.
Auf den Fotos oben sehen wir Heinrich Buchner im Hof seines in der Forsthausstraße errichteten Hauses sowie einen Feierabendziegel aus der Sammlung Karl Hillenbrand (+ ), Pforzheim, welcher der von Söhngen angegebenen Beschreibung des Ziegels von Heinrich Buchner recht ähnlich sehen mag.
Heinrich Buchner starb übrigens 1975. Es wird berichtet, dass er noch bis ins hohe Alter sehr rüstig gewesen sei, in der Landwirtschaft mitgearbeitet habe und gerne mit dem Fahrrad gefahren sei. Und wer weiß, vielleicht hat er einer Leserin und einem Leser dieser Zeilen einmal von seinem besonderen Ziegel erzählt?
Bis zum nächsten Mal,
Euer
Sven Schepp
Bild Feierarbendziegel: Karl Hillenbrand – für den Artikel freundlicherweise von Herrn Rainer Scherb, Probstei Johannesberg – Beratungsstelle für Handwerk und Denkmalpflege, Fulda, zur Verfügung gestellt.
Literaturhinweis: Rainer Scherb: Feierabendziegel – Gestaltete Dachziegel, in: Johannesberger Arbeitsblätter (Beratungsstelle für Handwerk und Denkmalpflege), Fulda 2010