Harbach historisch – Geschichte(n) rund um das Dorf

Harbach historisch – Geschichte(n) rund um das Dorf

Heute: „1864 erschossen“ – Schicksal eines Harbacher Auswanderers nach über 150 Jahren aufgeklärt

Teil 2

Liebe Leser,

hier nun der zweite Teil des Artikels zur Biografie des Auswanderers Johannes Jacob IV., den es zwischen 1855-60 aus Harbach in die Vereinigten Staaten von Amerika verschlug.

***

Chicago, die neue Heimat von Johann Jacob, war wie der gesamte zur Union gehörende Staat Illinois das damals von deutschen Auswanderern stark frequentiertes Siedlungsgebiet des mittleren Westens. Und so verwundert es nicht, dass zusammen in der Kompanie „D“ des Regiments weitere deutsche Nachnamen, wie z.B. Canzler, Grunewald und Staufer auftauchen.

Eine Statistik von 1869 geht davon aus, dass mindestens 177.000 in Deutschland geborene Männer in den Armeen der Nordstaaten dienten und damit die größte ethnische Minderheit ausmachten. Mit seinen 38 Jahren bei Einziehung indes gehörte Johannes Jacob zu den alten Soldaten. Zwei Drittel der Unionstruppen waren nicht älter als 21 Jahre, 30%  gar unter 17 Jahren.

Anhand der dokumentierten Geschichte des Regiments können wir nun weitere Stationen im Leben von Johann Jacob auf dem westlichen Kriegsschauplatz nachvollziehen. Sollten wir darüber auch den Ort „Gelber See“ lokalisieren können? Verfolgen wir die weitere Spur:

Nach der zum 11.02.1862 erfolgten Aufstellung im Chicagoer „Camp Douglas“ verließ das 58. Illinois Infanterie-Regiment mit rund 890 Mann die Stadt, wurde per Eisenbahn nach Cairo (Illinois) geschafft und dort eiligst bewaffnet. Von dort aus fuhr es mit Dampfschiffen auf dem Ohio- und Cumberland-River und wurde bereits bei Tagesanbruch des 14.02.1862 überhastet in die laufenden Kämpfe um Fort Donelson am Cumberland-River geworfen, welches als zentrales Einfallstor für eine Invasion der Nordstaatler in Tennessee identifiziert wurde.

Neben der Tatsache, dass die Soldaten nur eine mangelhafte Ausbildung erfahren hatten und auf die Schnelle mit ausgesonderten und z.T. auf Schlachtfeldern aufgesammelten minderwertigen Waffen ausgestattet war, machte die kalte Witterung (Minus 10 Grad) und eine mehrtägige Mangelverpflegung den Männern schwer zu schaffen. Durch die Kampfhandlungen bei der erfolgreichen Einnahme des Forts durch die Nordstaatler waren erste Gefallene des Regiments zu beklagen.

Nach den Kämpfen bei Fort Donelson am Cumberland wurde das Regiment als Teil der Invasionsarmee von US-General Grant auf dem Tennessee-River in den Raum Savannah (Tennessee) gebracht, wo es nun über einige Tage ausgebildet, gedrillt und materiell aufgefrischt wurde.

Am 29.03.1862 wurde das Regiment auf Dampfschiffen nach Pittsburg Landing am Tennessee-River gebracht.

Hier sollte die Armee von US-General Grant mit der Armee in den Folgetagen mit der Armee von US-General Don Carlos Buell auf insgesamt 75.000 Mann vereinigt werden, um weiter Tief in den Süden, zunächst auf den etwa 35 Kilometer südlich liegenden Eisenbahnkontenpunkt Corinth  vorstoßen zu können.

Während sich der Anmarsch von Buells Armee verzögerte, verbrachten Grants 40.000 Mann starke Nordstaatler einige Tage im Biwak bei Pitsburg Landing, ohne sich der Gefahr bewusst zu werden, die da auf sie hereinbrechen sollte. Die Südstaatler, von dem Aufenthaltsort der Yankees informiert, setzten alles daran, all ihre im Süden greifbaren Truppen, immerhin 42.000 Mann zusammenzuziehen und Grant noch vor dem Eintreffen von Buell anzugreifen. Und so kam es am 06. und 07.04.1862 zur Schlacht von Shiloh, die an Grausamkeit alles bisher dagewesen übertreffen sollte: Mit jeweils 10.000 Toten und Verwundeten auf beiden Seiten waren die Verluste fast doppelt so hoch, wie in den fünf größeren Bürgerkriegsschlachten zuvor zu beklagen gewesen waren.

Die Sieger waren entsetzt. Während US-General Sherman über die „zu Bergen aufgehäuften, verstümmelten Körper toter Soldaten … ohne Kopf und ohne Beine“, schrieb US-General Grant in seinen Memoiren, dass es möglich war, „über das ganze Schlachtfeld zu laufen, ohne den Boden zu berühren, so war das Schlachtfeld mit Leichen bedeckt“.

In den frühen Morgenstunden des 6. April brach der konföderierte Angriff nahezu vollkommen überraschend auf die Unionssoldaten herein. Panisch ließen sie Zelte und Habseligkeiten zurück und konnten nach ihrer Flucht nur mit Mühe weiter nördlich von ihren Offizieren formiert werden.  Dreh- und Angelpunkt der Schlacht war in der Folge die Schlüsselstellung im Zentrum der Nordstaatler, von den Rebellen später aufgrund der Masse der pfeifenden Kugeln das „Hornets Nest“ (Hornissennest) genannt. Über eine Dauer von rund acht Stunden durchgehendem Kampf stürmten die Südstaatler in elf Angriffswellen und nach einem massiven Artilleriebeschuss die hinter Baumstämmen, Holzverhauen und flachen Mulden in einem Waldgebiet provisorisch verschanzten Yankees. Unter den Regimentern des Nordens, die hier einem mörderischen Feuer ausgesetzt waren, befand sich auch das 58. Illinois Infanterie-Regiment, und damit auch mit hoher Wahrscheinlichkeit Johannes Jacob.

Am Ende konnten die Südstaatler das „Hornets Nest“ vollständig umschließen und den Großteil der das Inferno überlebenden Nordstaatler gefangen nehmen. Vom 58. Illinois Infanterie-Regiment wurden 218 Angehörige gefangen genommen, 232 fielen. Johannes Jacob entkam offenbar dem Szenario mit den Resten des Regiments und sprang dem Tod oder dem Schicksal der Gefangenschaft noch einmal von der Schippe.

Dass die Union am Ende des zweiten Tages die bislang blutigste Schlacht auf amerikanischen Boden letztlich doch noch gewinnen konnte, dürfte Johann Jacob nach diesen Erfahrungen womöglich egal gewesen sein. Die Reste seines nahezu aufgeriebenen Regiments wurden am Folgetag nicht wieder eingesetzt. Für sie begann nun eine Phase der Etappen- und Besatzungstätigkeit sowie der Neustrukturierung in Illinois und in Kentucky.

Im Januar 1864 wurde das Regiment von Johannes Jacob dann nach Vicksburg, Mississippi, verlegt.

Anschließend sollte es im Rahmen der „Red-River-Offensive“ der Nordstaaten eingesetzt wurde, um die Stadt Shreveport, zwischenzeitlich zur Hauptstadt von Louisiana ernannt und ein wichtiger Umschlagplatz der Konföderation, zu erobern. Längst war der Norden auch dazu übergegangen, in einer Frühform des „totalen Krieges“ auf dem Weg zu solchen Zielen die Infrastruktur der Südstaaten, Bahnlinien und Baumwolldepots, flächendeckend zu zerstören und machte dabei auch vor privatem Besitz nicht Halt.

Die geplante Operation war von den Nordstaatlern taktisch allerdings nur halbherzig angelegt und sollte kläglich scheitern. US-General Sherman nannte die gesamte Operation später „one damn blunder“ (einen verdammten Schnitzer).

Als Teil der Offensive wurde das 58. Illinois Infanterie-Regiment im März 1864 nach Simmesport, Louisiana, verschifft, von wo es dann im Verbund der Golf-Armee der Nordstaaten den Red River auf Shreveport hinauf vorstoßen sollte. Nach ersten Erfolgen bei der Einnahme von Fort De Russy fand die Offensive der Nordstaaten weiter nördlich trotz personeller Überlegenheit aufgrund taktischer Fehler ein klägliches Ende in den Schlachten von Mansfield und Pleasant Hill, südlich von Shreveport.

Die Operation musste abgebrochen werden und die rund 10.000 Nordstaatler zogen sich wieder entlang des Red Rivers zum Ausgangspunkt Simmesport zurück.

Hierbei wurden sie wiederholt von den Konföderierten angegriffen und es kam zu zwei größeren Gefechten. Das Regiment von Johann Jakob war Teil der Nachhut und hatte damit wiederholten Feindkontakt.

Bei Yellow Bayou, nur wenige Meilen westlich von Simmesport kam es am 18.05.1864 zum letzten der Nachhutgefechte der Red-River-Operation. Yellow Bayou bedeutet „Gelber See“, wobei das Wort Bayou der einst in Louisiana ansässigen indigenen Sprache der Cajun-Kultur entlehnt ist. Tatsächlich finden wir in der US-Verlustliste des Tages auf Seiten der Union 360 Tote. Das 58. Illinois Infanterie-Regiments meldete hiervon 14 namentlich genannte Gefallene. Darunter befanden sich John und Johann Jacob.

Johannes Jacob aus Harbach war somit einer von etwa 620.000 Toten, die der Bruderkrieg forderte.

Nach dem Gefecht von Yellow Bayou, wurden die meisten Toten auf Unionsseite geborgen und zu der zentralen Kriegsgräberstätte von Chalmette bei New Orleans überführt und in Massengräbern bestattet. Ob der Friedhof auch für Johannes Jacob zur letzten Ruhestätte wurde, kann letztlich nicht geklärt werden.

Vermutlich durch die aus Fernwald-Albach stammende Verwandtschaft in Illinois wurde die in Harbach lebende Ehefrau über den Tod des Mannes per Brief informiert. Sie wiederum dürfte es gewesen sein, die daraufhin den örtlichen Bürgermeister zum Eintrag in das Ortsbürgerverzeichnis bewog. Dass das Geheimnis um den unscheinbare Namen „Gelber See“, einen Ort von dem er zeitlebens sicher keine Informationen vorliegen hatte, nach über 150 Jahren lokalisiert werden würde, hätte er sich sicher nicht träumen lassen.  

Mein Dank geht an Gary Adelmann, American Battlefield Trust sowie an Prof. Gary Joiner, University von Louisiana.

Soviel für heute,

Euer

Sven Schepp

Quellen:

Stadtarchiv Grünberg, Harbach – XI. Abt. Konv. 1 Fasz. 2 – Ortsbürgerregister

Borger, Jan: Der US Bürgerkrieg 1861-65, Stuttgart 1984

Gary D. Joiner: Through the Howling Wilderness: The 1864 Red River Campaign, Tennessee 2014

James McPherson: Für die Freiheit sterben, München 1992

Gould, B.: Investigations in the Statistics of American Soldiers, New York 1869

US Department of Homeland Security

Historical Data Systems – www.civilwardata.com

Bilder:

  1. Ausrüstung eines Unionssoldaten. (Foto Schepp)
  2. Karte der Kriegssituation 1862 sowie relevante Orte in Bezug auf Johannes Jacob
  3. Schlacht von Shiloh, nach einem Gemälde von T. Thulstrup (Library of Congres – public domain)
  4. Foto von Unionssoldaten 1864 (public domain)
  5. Karte der Kriegssituation 1864 sowie relevante Orte in Bezug auf Johannes Jacob
https://civilwar.illinoisgenweb.org/history/058.html
https://tile.loc.gov/storage-services/service/pnp/pga/04000/04037v.jpg