Harbach historisch – Geschichte(n) rund um das Dorf

heute: Die „Gesindelade“ der Anna Klös
Liebe Leser, vor einiger Zeit konnte ich im Schuppen des „Klöse-Haus“ (Hattenröder Straße) den bemalten vorderen Teil einer alten Truhe vor der (Letzt-)Verwendung als Feuerholz retten. Das Fragment hat die Maße ca. 107x47cm, besteht aus Fichtenholz und weist eine schreinerisch einfache konstruktive Einteilung in drei Felder auf. Jedes Feld ist auf der Außenseite mit einer Art Blumenschmuck bemalt, während die ehemalige Innenseite naturbelassen ist. Auf dem Sockel des Fragments befindet sich der Sinnspruch:
„Blumen malen ist gemein, Geruch zu geben kann Gott allein. Anno Domini 1846“.
Mag der Zustand auch bedauernswert und die Bemalung aus dem heutigen Zeitgeist heraus ohne Hintergrundwissen auch „kitschig“ anmuten, so soll das 175 Jahre alte Möbelfragment aus unserem Dorf in dieser Ausgabe einmal besprochen zu werden.
Die Beschäftigung mit der Entstehung, Herkunft, der Bemalung und dem Vertrieb historischer Truhen und Laden setzte als Teil der Forschung zur Volkskunst erst spät ein. Erste Ausführungen in der einschlägigen Literatur stammen aus den 1920er und 1930er Jahren, wobei eine forensisch strukturierte umfassende Betrachtung im Rahmen einer Dissertation der Universität Würzburg erst im Jahre 2005 erfolgte und erstaunliche Erkenntnisse zutage brachte.
Im Zeitraum zwischen 1820 und 1900 waren die Laden gerade in Oberhessen, dem Marburger Land, der Schwalm und der Wetterau ausgesprochen beliebt. Fielen unzählige Laden seither auch dem Zahn der Zeit oder dem Kamin zum Opfer, so sind die Truhen nach wie vor keine extreme Seltenheit.
Lehrer Karl Söhngen (1902-1978) publizierte in einem Artikel 1936 tatsächlich deutschlandweit als einer der ersten über diese Truhen. Er stöberte in Harbach die damals vorhandenen Truhen auf, und stellte sie in Wort und Bild dar. Söhngen bezeichnete die Laden als „Bauerntruhen“ und entwickelte die These, dass sie von lokalen Dorfschreinern gefertigt worden seien.
Innerhalb der bereits genannten Dissertation von Matthias Wagner wurden von rund 500 solcher Laden in Museen und Privatsammlungen untersucht und in Bezug auf ihre Machart und Bemalung erstaunliche Parallelen festgestellt. Die These der Herstellung durch örtliche Schreiner kann nach Auswertung der Ergebnisse nicht mehr gehalten werden. Vielmehr fand der Autor heraus, dass die Laden „halbindustriell“ fast ausschließlich in dem thüringischen Ort Schnett bei Eisfeld gefertigt wurden und als damaliger Exportschlager überwiegend nach Hessen, aber auch nach Franken und Baden geliefert wurden. Die Bedeutung der auf die hessischen Gebiete ausgerichtete Produktion war so groß, dass sich innerhalb des durch zahleiche historische Dokumente belegten Geschäftsverkehrs der Begriff „Hessenlade“ etablierte.
Viele Familien in Schnett waren über den Zeitraum von gut einem Jahrhundert mit der tischlerischen Produktion von Kisten und Laden beschäftigt, die daher in der heutigen Literatur zur Volkskunst „Schnetter-Truhen“ bezeichnet werden. Ferner wurden in dem Dorf auch bemalte hölzerne Hutschachteln hergestellt.
Die Bemalung der Laden folgte immer nach dem gleichen Prinzip: Es dominierte eine geschmückte blaue Einfassung um die oft braun gestalteten Felder, die ihrerseits mit bunten floralen Darstellungen versehen waren. Einem humoristischen oder religiösen Spruch folgte die Jahreszahl der Erschaffung bzw. des Dienstantrittes der jeweiligen Besitzerin oder des Besitzers, auf den noch eingegangen wird.
Die Laden besaßen einen doppelten Verwendungszweck: Zunächst dienten die bereits in Thüringen bemalten Truhen als Behälter für dort hergestelltes Porzellan oder hölzernes Geschirr, das zunächst mit Fuhrwerken, ab Mitte des 19. Jahrhunderts mittels günstig gelegener Bahnverbindungen zu Zielbahnhöfen z.B. nach Kassel, Ziegenhain oder Gießen transportiert wurde. Vielfach lassen sich an den heute noch erhaltenen Truhen Transportbeschriftungen oder Frachtaufkleber finden.
An den jeweiligen Zielorten in Hessen wurden die Laden geleert und dann zum weiteren Vertrieb an fahrende Händler, Krämer oder auch Gastwirte übergeben, die ihrerseits den Verkauf an die Endkunden durchführten.
Aufgrund des günstigen Preises waren Endkunden im Wesentlichen in der gesellschaftliche Schicht der Dienstboten und des Gesindes zu finden. Die Lade etablierte sich gar zu deren Standeszeichen. In Abgrenzung hierzu bestanden „Bauerntruhen“ aus anderen Hölzern (insb. Eiche oder Buche), waren deutlich aufwendiger hergestellt und verziert.
Insbesondere junge Frauen, die nach Abschluss der Volksschule und Konfirmation auswärts bei Bauern in Stellung gingen, wurden von ihren Eltern mit einer solchen Lade bedacht, um ihre wenigen Habseligkeiten unterzubringen. So bürgerten sich die zeitgenössischen Bezeichnungen „Mägde-Lade“, „Mädchenkasten“ oder „Gesindelade“ für diese spezielle Form der billigen Fichtenholztruhe ein.
Ausschlaggebend für die Popularität der leichten Laden war neben dem durch die einfache Herstellung bedingten günstigen Preis und die gute Stapelbarkeit aufgrund der schlichten Konstruktion mit flachem Deckel vor allem die dem damaligen Zeitgeschmack des Biedermeiers entsprechende florale Bemalung. Wie viele junge Mägde, die an ihrem Arbeitsort in erbärmlichen und dunklen Kammern hausen mussten, mögen sich am einzigen Schmuck in ihrem Raum, nämlich der eigenen bemalten Lade, erfreut haben? Die Kiste erfüllte die Schmuckbedürftigkeit des Gesindes, welches sich dieses weder mit besonderer Kleidung oder teuren Gegenständen erfüllen konnte. Truhe und Inhalt waren oft der einzige persönliche Besitz des Mädchens und der aufgemalte Spruch, der vielfach humoristischen oder religiösen Inhaltes war, mag Kraft und Hoffnung in einer Zeit entbehrungsreicher und harter Arbeit gegeben haben.
Mit dem Aufkommen von leichten Koffern ging um 1900 die Popularität der Gesindekisten deutlich zurück. Viele Laden wanderten daraufhin wenig wertschätzend auf den Dachboden, in den Schuppen oder wurden vernichtet. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass diese Kiste einst persönlicher Schmuck der Erstbesitzerin war und mitunter mit Träumen, Hoffnungen und Trost verbunden waren, mag eine solche Behandlung doch sehr bedauerlich anmuten.
Mein Kistenfragment, in Karl Söhngens Artikel von 1936 noch als vollständige Truhe abgebildet, wird von diesem der Anna Klös, geborene Mahr, als Erstbesitzerin zugeordnet. Leider bedarf der Herkunftsort der Dame noch der Recherche. Vor dem Hintergrund der geschilderten Erkenntnisse ist allerdings gut vorstellbar, dass sie die Lade womöglich von ihren Eltern im Alter von 13-14 Jahren im Jahre 1846 erhielt und für ihre Zeit als Magd nutzte. Später gelangte die Kiste dann durch Einheirat in die Familie Klös in das Haus in Harbach.
Die heute noch erhaltenen Gesindeladen (oder deren Fragmente) mögen an diese besondere Geschichte eines einfachen, halbindustriell hergestellten und einstmals für unsere Gegend sozialgesellschaftlich prägenden Möbel erinnern.
Sollten solche Stücke noch in Harbach existent sein, so wäre ich für eine Nachricht dankbar, um ein paar Fotos davon anfertigen zu können.
Soviel für heute,
Eurer
Sven Schepp
Literaturhinweise:
Assion, Peter: Thüringer Truhen in Hessen. Zum Möbelhandel und zur Sachkultur des Gesindes im 19. Jahrhundert; in: Hessische Heimat 35, 1985
Hummel, Georg: Bemalte Thüringer Bauernmöbel des 18. und 19. Jahrhunderts im Erfurter
Heimatmuseum; in: „Heimatschutz“, Landesverein für den Regierungsbezirk Erfurt, Mitteilungen, Juni 1926
Söhngen, Karl: Alte hessische Bauerntruhen; in: Heimat im Bild. Beilage zum Gießener Anzeiger Nr.
25 (1936)
Wagner, Matthias: Truhen aus Schnett. Dissertation, Würzburg 2005