Feldwege verschwinden

Feldwegen und Feldrainen kommt in unserer Kulturlandschaft eine große Rolle als Biotopvernetzer und Rückzugsraum für bedrohte Arten zu. „Wegränder, Graswege, Gräben und Raine sind naturnahe Elemente in der Feldflur, die als Grundgerüst eines Biotopverbundsystems dienen können, sofern sie im Sinn des Naturschutzes fachgerecht behandelt werden“, betonte Ottfried Weber, Vorsitzender des Kreisverbandes der Naturlandstiftung. In vielen Gemarkungen seien es die letzten verbliebenen Strukturen, die der Tierwelt als Versteck, Nistplatz oder Nahrungsgrundlage dienen.Gemeinsam mit dem Arbeitskreis Lebensraum Feldweg der Biodiversitätsinitiative des Landkreises und dem Nabu-Kreisverband hatte die Naturlandstiftung zu einem Ortstermin in die Gemarkung Harbach eingeladen, um auf Missstände aufmerksam zu machen.“Wir stellen immer wieder fest, dass Feldwege von Landbewirtschaftern in die Acker- und Wiesennutzung einbezogen werden. Und das häufig ohne Wissen und Genehmigungen ihrer Eigentümer, der Kommunen“, schilderte Dr. Heino Steinmetz, Sprecher des Arbeitskreises Lebensraum Feldwege, das hessenweite Problem. Ein solcher Fall liege beispielsweise auf einer neun Hektar umfassenden Wiese an der B 49 von Reiskirchen in Richtung Grünberg gegenüber der Abfahrt nach Harbach vor. Hier habe ein Landwirt die 900 Meter laufende Graswege, die die Wiese durchzögen, einfach als Grünland mitbenutzt.
Rein rechtlich sei dies nicht zulässig. „Die Wege genießen als öffentliche Anlage den strengen Schutz des Flurbereinigungsgesetzes“, betonte Steinmetz. Dieses gebe ihnen den Status von Kommunalsatzungen, die nur im gesetzlich geregelten Verfahren geändert werden könnten. Das heißt: nur nach parlamentarischer Beratung unter Beteiligung der Öffentlichkeit. Die Kommunalaufsicht müsse dem Verfahren zustimmen. In der Praxis werde dies leider nicht befolgt. Einen Weg in eine Ackerfläche umzuwandeln, sei laut Bundesnaturschutzgesetz ein genehmigungspflichtiger Eingriff. Die Verbände bemängelten vor allem, dass die Bürgermeister und Kommunalverwaltungen in vielen Fällen kein Interesse am „eigenmächtigen Geschehen“ in der Feldflur zeigten.
„Wir appellieren deshalb dringend an alle Bürgermeister, Gemeindevorstände und Magistrate, das Schicksal der verschwundenen Feldwege zu klären und deren Wiederherstellung zu veranlassen“, unterstrich er. Nach Aussage von Bodo Fritz (Nabu Langd) hat die Stadt Hungen auf das Drängen reagiert, die Flächen zurückzuführen. Leider fehle der Kommune die Zeit zu einer gründlichen Kontrolle, auch wenn Bürgermeister Rainer Wengorsch angekündigt habe, künftig „genauer hinzuschauen“.Im Blättchen weist er explizit darauf hin, dass es „verboten ist, Feldwege, Grün- und Uferrandstreifen sowie Waldränder, Böschungsbereiche und andere ungenutzte Landschaftsbereiche umzubrechen, an den Rändern umzupflügen oder ihre Randbefestigungen zu verändern, sie mit Pestiziden zu behandeln oder zu düngen“.
Einen Runden Tisch wie in Hungen gibt es auch im Oberen Kleebachtal, wie Günter Oberländer vom dortigen Nabu betonte. Von 2017 an habe man drei Jahre lang 45 Feldwege vermessen. „70 Prozent der Wege waren zu schmal, ein Teil von ihnen überhaupt nicht mehr auffindbar“, bemängelte er. „Wir haben der Gemeinde die Messprotokolle gegeben.“ Passiert sei aber bislang nichts. Auch in Ettingshausen seien viele Feldwege einfach verschwunden, berichtete Gabriele Winter (Öffentlichkeitsarbeit Naturlandstiftung). Vor zweieinhalb Jahren habe man sich mit Landwirten zusammengesetzt und Ausgleichsflächen mit Blüten und Kräutern geschaffen. Ein offizieller Vertrag sei aber nie zustande gekommen. Da die Flächen nicht ausreichend betreut würden, verschwänden auch sie langsam wieder. Dabei sei gerade ein Erhalt über einen langen Zeitraum wichtig. Als positiv beurteilten die Verbände eine Fläche rechts der B 49 in Richtung Grünberg. Hier habe ein Landwirt seine Bewirtschaftungseinheit vergrößert, dabei aber auch Blühstreifen geschaffen. Auch in Lich habe sich in den vergangenen Jahren viel Positives getan. So habe die Stadt beispielsweise ein GPS-Gerät zum Auffinden von Grenzsteinen angeschafft. Neben dem zunehmenden Verlust von Feldwegen kritisierten die Verbände auch das ungeregelte Abmulchen der Vegetation, was häufig als „Pflege der Kulturlandschaft“ missverstanden werde. „Sowohl menschliche Nutzer der Wege als auch die Pflanzen- und Tierwelt profitieren, wenn die Graswege und Feldränder mit Fachverstand und Augenmaß gepflegt werden“, betonte Dr. Tim Mattern, Vorstandssprecher des Nabu. Hin und wieder sei auch aus Sicht des Naturschutzes eine Mahd am Wegrand erforderlich. „Aber muss es immer das Mulchgerät sein?“, fragte er. „Dies ist das Todesurteil für alle Insekten.“ Auch sollten kommunale Verwaltungen und Landwirte über geeignete Zeitpunkte der Pflege nachdenken und niemals alle Wege in einer Gemarkung gleichzeitig bearbeiten. „Es gibt immer Ecken, die man auch mal ein Jahr stehen lassen kann.“
Die von den Verbänden geforderte Erhaltung und Pflege der Feldwege ist nach Ansicht von Manfred Paul, Vorsitzender des Bauernverbandes Gießen/Wetzlar/Dill, nicht überall realisierbar. „Was sollen beispielsweise Wanderschäfer machen, die über Wiesenwege weiterrücken müssen?“, fragte er. Auf Feldhygiene dürfe nicht vollkommen verzichtet werden. Einmal im Jahr zu mulchen mache auf jeden Fall Sinn. Mehr müsse es auch nicht sein.“Wir sind bemüht, bei der Feldhygiene weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen und die Wege nicht zu behaften“, betonte Paul. In seinem Heimatort Villingen würden die Grenzbereiche in jedem Fall eingehalten. Die „Feldruhe“ wird seiner Meinung nach in diesem Jahr Corona-bedingt eher durch Fußgänger und Radfahrer gestört.
Quelle: Gießener Anzeiger (paz)