„Aus dem Stand heraus“

„Aus dem Stand heraus“

BIEBERTAL – Über „geballte Fachkompetenz“ zum Thema „Bildung und Corona“ freute sich Wolfgang Lenz bei der jüngsten Ausgabe der „Biebertaler Gespräche“ im Rodheimer Bürgerhaus. Die SPD bietet mit diesem Forum Gelegenheit zum Austausch mit der Bevölkerung zu aktuellen Themen.

Er begrüßte die Referentin Astrid Eibelshäuser, Schuldezernentin der Stadt Gießen. Neben den Entwicklungen der schulischen Bildung in der Pandemie ging Eibelshäuser auch auf die aktuellen Regelungen sowie Risiken und Chancen von Bildung in Zeiten von Corona ein.

Vor einer großen Herausforderung habe man nach den „Schulschließungen über Nacht“ gestanden, schließlich gibt es keinerlei Erfahrungswerte für solche Ausnahmesituationen. Viele Problemfelder seien durch die Pandemie entstanden, die Schule sei „ein wesentlicher Teil des Lebens“ für die Kinder. Seit den Sommerferien habe man daher mit den Verantwortlichen in den Schulen vor Ort Konzepte für eine Rückkehr der Kinder in ihren „Lebensort“ erarbeitet. Konkret umfassten diese vor allem das Halten von Abstand wann immer möglich, also in Fluren oder Ein- und Ausgängen. Im Klassenraum selbst sei dies nicht immer möglich, dort müssen die Schüler auch keine Maske tragen.

Eibelshäuser verteidigte das Konzept des „dezentralen Reagierens“. Es sei zwar für manche Eltern unverständlich, wieso unterschiedliche Ansätze und Maßnahmen an eigentlich ähnlichen Schulen gelten, der Ansatz habe aber auch viele Vorteile. So könne man bei Infektionen lokal eingreifen und lediglich einzelne Klassen und Jahrgangsstufen bis zum Vorliegen eines negativen Testergebnisses in Quarantäne schicken.

Dass man Schule nicht einfach an einen anderen Ort verlegen kann, sei den Verantwortlichen von Anfang an klar gewesen. Digitaler Unterricht klinge zwar zunächst gut, könne sich aber je nach Voraussetzung und Ausstattung zuhause schwierig darstellen. Durch den Wegfall von Struktur, Versorgung und sozialen Kontakten für Kinder seien psychische Probleme nicht auszuschließen, auch könne die Schule so ihre Funktion als Schutzraum nicht mehr erfüllen. Durch die Ausnahmesituation habe man nun einmal mehr „erlebt, wo Probleme sind“. Damit sprach Eibelshäuser neben fehlender Ausstattung auch gesellschaftliche Unterschiede und deren Auswirkungen auf den Bildungserfolg an. Man müsse nun alles dafür tun, so viele Kinder wie möglich wieder in die Schulen zu bringen.

Dass manche Lehrer mehr hätten tun müssen während des Schullockdowns, war die Meinung einiger Besucher. Mehr und bessere Aus- und Fortbildung seien angebracht. Eibelshäuser nahm die Lehrkräfte in Schutz: Viele hätten sich toll für die Kinder engagiert. Außerdem hätten auch sie „aus dem Stand heraus“ reagieren müssen. In den Fokus rücke durch Corona nun die Auseinandersetzung mit dem digitalen Lernen, wie die Schuldezernentin betonte. Für die Kommunen sei es aber ein „langer Weg“, an zusätzliche Fördergelder des Bundes zu kommen. So müsse man zunächst Ausschreibungs- und Vergabeprozesse durchlaufen. Digitale Endgeräte sind für Eibelshäuser dabei Teil der Lernmittelfreiheit und sollten für jeden vorgehalten werden. Aktuell herrsche aber eine hohe Nachfrage sowohl nach Hard- und Software sowie auch nach benötigten Fachkräften im digitalen Bereich.

In Gießen wolle man aber mehr tun als nur Geräte zur Verfügung zu stellen: Öffentliche Einrichtungen wie Jugendzentren oder Bürgerhäuser sollen im Falle einer erneuten Schulschließung zu Lernorten für Kinder werden, bei denen die technische Ausstattung oder räumliche und soziale Situation zuhause kein optimales Lernumfeld bietet. Gerade Sozialdemokraten müssten Unterschiede im Bildungsbereich durch soziale Herkunft bekämpfen. Dabei sei auch eine kontinuierliche Versorgung mit Mitteln für Investitionen wichtig, wie auch der Biebertaler SPD-Kreistagsabgeordnete Peter Pilger betonte. Man habe sich zu lange ein Bildungssystem geleistet, welches den Anforderungen nicht genügt, warf auch Moderator Wolfgang Balser sein. Eltern regten mehr Kommunikation auch untereinander und Unterstützung beim Lernen mit den Kindern zuhause an.

Wie nun aktuell eigentliche „gute Schule“ zu definieren sei wollte Balser abschließend diskutieren. „Digitalisierung führt nicht automatisch zu gutem Unterricht“ war dabei die Meinung der Fachfrau. Trotzdem müsse man natürlich Digitales als Instrument in der Schule nutzen. Vielmehr seien auch ganzheitliches Lernen oder die Förderung unterschiedlicher Talente Aspekte guter Schule.

Die Biebertaler Sozialdemokraten können sich vorstellen, konkrete Aspekte wie beispielsweise die Bereitstellung öffentlicher Räume als Lernorte anzuregen.

Quelle: Gießener Anzeiger